Akademie

The (Un)answered Question: Ein Konzert geschrieben von Emotionen

"Wir haben heute Abend Musikgeschichte geschrieben" Benjamin Schäfer, Dirigent

Aufführung vom 08.11.2022 ©Monika Liegmann, Staatstheater Saarland

Das gab es noch nie, es ist ein Meilenstein in der Musik- und Theatergeschichte, wie auch Marcus Lobbes im Podiumsgespräch sachlich zusammenfasste, "auch wenn wir die konkreten Folgen erst in 20 Jahren werden ermessen können": Martin Henneckes Data-Science-Composition vereinigt nicht nur die KI-Expertise des Deutschen Luft- und Raumfahrtzentrums und das Bildgebungsverfahren des leistungsstärksten MRT-Gerätes der Welt des Max Delbrück Zentrums für molekuläre Medizin - sie erschafft zugleich eine neue Art des datengetriebenen Echtzeit-Komponierens, die bei all der Technik vor allem einen einzigartigen Theaterabend mit herausragender, bewegender, im originären wie medizinischen Sinne von Herzen kommender und zu Herzen gehender Musik entstehen lässt, die so nie wieder erklingen kann - und die das Publikum in der ausverkauften Alten Feuerwache des Staatstheater Saarbrücken sichtlich bewegte.

Martin Hennecke definiert dabei die Rolle des Komponisten neu: Er ist nicht mehr das Originalgenie, das Werke schöpft, sondern künstlerischer Visionär, der die Parameter definiert, nach denen viele unterschiedliche Expert*innen-Teams in Zusammenarbeit aus live generierten Daten unvorhersehbaren Klang entwickeln - und die vielleicht größte Leistung ist dann, das aus jedem Durchlauf so unterschiedliche und dabei so berührende Musik entsteht.

"Dass mit unserer Forschung eine großartige Zukunft möglich ist, wissen wir schon lange", erklärte Andreas Kosmider von der Helmholtz Information & Data Sciences Academy (HIDA) die Idee hinter der seit Jahren aufgebauten Zusammenarbeit mit der Akademie für Theater und Digitalität, "aber es reicht nicht zu forschen, wir müssen die Forschung auch in Narrative verwandeln". In Kooperation zwischen der HIDA und der Akademie für Theater und Digitalität (ATD) wurde deshalb an der ATD in Dortmund, am Deutschen Zentrum

für Luft- und Raumfahrt (DLR) und am Max-Delbrück-Centrum für molekulare Medizin (MDC) das Forschungsstipendium realisiert, dessen Ergebnisse nun durch die Bundesförderung »Exzellente Orchesterlandschaft« vom Saarländischen Staatorchesters Bundes am Staatstheater Saarbrücken zur Aufführung gebracht werden konnten.

Konkret bedeutet das, dass KI-Forscher*innen des Deutschen Instituts für Luft- und Raumfahrttechnik in Echtzeit durch das Clustern von live gesammelten biomedizinischen Daten des Publikums eine Orchester-Partitur erstellen, die vom experimentierfreudigen Orchester direkt vom Tablet gespielt wird, und das Max-Delbrück-Centrums für molekulare Medizin "boostert mit Kernspintomographie die Musik in die Zukunft", wie Thoralf Niendorf vom MDC es beschrieb - und zugleich von neuen medizinische Erkenntnissen sprach, die er an dem Abend gewonnen habe. Und während die Forscher*innen des DLF einerseits bei der Entwicklung des Abends vor allem vor der Frage standen, welche bestehenden Techniken sie für die Kunst so zweckentfremdeten können, dass aus den biomedizinisch gewonnenen objektiven wie subjektiven Daten eine intelligente Zuordnung von Daten zur Notation der Musik entsteht, fließen die gewonnenen Erkenntnisse des Abends wieder unmittelbar zurück in ihre Forschung und werden in Doktorarbeiten Niederschlag finden - denn auch für die Forscherinnen war es eine rare Möglichkeit, die Erfassung von Herzfrequenz und Emotiontracking nicht nur bei einzelnen Probanden, sondern bei einer großen Zahl von Personen gleichzeitig durchzuführen.